Chefinnen verzweifelt gesucht
Personalberater Thorborg über Karrierehindernisse für Frauen und sein Buch "Oben ohne - Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt"
Top-Jobs, Geschäftsführungs-, Vorstands- oder Aufsichtsratsposten warten darauf, besetzt zu werden. Liebend gern würde Heiner Thorborg dabei helfen. Doch er kann nicht. "Ich finde keine", sagt der erfahrene Personalberater aus Frankfurt schon fast verzweifelt. Denn er sucht nicht irgendwelche Konzernlenker - die gäbe es schon. Er sucht Frauen für die Chefsessel. Und das oft vergeblich. Denn schon einige Stufen tiefer auf der Karriereleiter fänden sich kaum noch Kandidatinnen, sagt er - in Deutschland jedenfalls. Dabei seien auf der ersten Sprosse Männer und Frauen inzwischen durchaus gleich stark vertreten. Zusammen mit der Journalistin Barbara Bierach hat Thorborg das Phänomen untersucht und in einem Buch zusammengefasst: "Oben ohne - Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt". Wichtigster Baustein des Buches sind Gespräche mit solchen Frauen, die es tatsächlich an die Spitze großer Unternehmen geschafft haben - fast ausnahmslos keine Deutschen.
So trägt für die beiden Autoren denn auch die deutsche Geschichte eine Mitschuld an der derzeitigen Lage. "Das unselige Erbe der Mutterkreuzphilosophie" sorge immer noch dafür, dass jene Frauen, die ihre Kinder einer "Fremdbetreuung" überließen, als Rabenmütter abgestempelt würden. Und das ist nach Auffassung von Thorborg und Bierach ein wesentlicher Grund dafür, dass es Frauen schwerfällt, verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen. Denn eines ist für Thorborg klar: "Vergessen Sie Teilzeit - mit einer Halbtagsstelle kann man keine Karriere machen." Jene Frauen, die er und Bierach vorstellen, wie Lady Barbara Judge, Chairman der britischen Atomenergiebehörde (ein Kind), Clara Furse, CEO der Londoner Börse (drei Kinder), und Miki Tsusaka, Partnerin bei The Boston Consulting Group (drei Kinder), jedenfalls haben ihren Weg mit dem für diese Jobs üblichen Pensum gemacht und nach der Geburt ihrer Kinder kaum die Arbeit unterbrochen. Sie leben (oder lebten, als ihre Kinder klein waren) allerdings in Ländern, in denen es ein umfassendes und hochwertiges Angebot an Betreuungseinrichtungen oder gut ausgebildete "Nannys" gibt. An beidem herrscht in Deutschland eklatanter Mangel.
Das macht Thorborg geradezu ärgerlich. Was hierzulande geschehe, sei volkswirtschaftlich fast kriminell, meint er. Denn der Mangel an qualifizierter Kinderbetreuung vom Babyalter an schade nicht nur den Frauen, die arbeiten wollten, sondern vor allem auch den Kindern, die zu Hause keinerlei Förderung bekämen. Andererseits liege das an hiesigen Hochschulen erworbene Wissen vieler Akademikerinnen brach. Thorborg plädiert daher für eine völlige Neuorientierung der Familienpolitik. Statt Eltern- und Kindergeld oder Ehegattensplitting sollte es eine umfangreiche Ausweitung des Betreuungsangebots und eine Aufwertung und Qualifizierung des Erziehungspersonals geben. Schließlich trüge dies eine enorme Verantwortung.
Er erwartet aber auch von Vätern, Ehemännern und Unternehmen, dass sie die Frauen dabei unterstützten, nach der Geburt der Kinder wieder an die Arbeit zu gehen. Nur so könne verhindert werden, dass teuer erworbene Qualifikationen nicht auf den Spielplätzen versandeten. Freilich reden Thorborg und Bierach auch den Frauen ins Gewissen: Es könne sich heute keine mehr darauf verlassen, dass die Ehe ewig halte und sie bis ins Rentenalter versorgt sei. Und welcher Frau das noch nicht reicht, für die zitieren sie Barbara Judge: "Stell dir vor, du möchtest ein Paar Schuhe. Und dein Mann sagt: Aber Liebling, du hast doch schon zwei Paar."
Thorborg nennt das, was Deutschland brauche, "in gewissem Sinne eine Kulturrevolution" . Seinen Teil will er zusammen mit fünf großen Unternehmen dazu beitragen. Er will durch ein Coachingprogramm Frauen auf die Überholspur setzen. Der Headhunter verfolgt dabei nicht zuletzt seine eigenen Interessen. Denn wie er sagt, hat mit dem beginnenden Aufschwung in der Wirtschaft der Kampf um die Talente längst wieder begonnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
07.02.2007