Ohne Sympathie ist es schwierig
Heiner Thorborg unterstützt seit vier Jahrzehnten Topmanager bei der Karriereplanung – und Unternehmen bei der Suche nach den passenden Vorständen. Ein Gespräch über die Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz in Führungsetagen.
brand eins: Herr Thorborg, wie nahe sind Sie den Führungskräften, die Sie betreuen?
Heiner Thorborg: Sehr nah. Sonst kann ich nicht für sie arbeiten.
Wieso?
Nähe ist zunächst einmal ein Gefühl. Um es zu erzeugen, muss es gegenseitige Sympathie geben. Es gibt sicher auch Leute, die ganz gut zusammenarbeiten, obwohl sie sich nicht besonders sympathisch sind. Aber Exzellenz in der Zusammenarbeit entsteht durch Nähe. Ohne Sympathie ist es extrem schwierig, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen. Diese wiederum ist notwendig für gemeinsamen Erfolg. Deshalb vertrete ich keine Talente oder Manager, die mir nicht sympathisch sind.
Das klingt fast romantisch. Sehen das im Topmanagement alle so?
Gewiss nicht. Und natürlich wohnt dem Begriff Nähe so viel Subjektivität inne, dass zwei Manager behaupten können, ihnen sei Nähe zu Vorstandskollegen oder Mitarbeitern sehr wichtig – dabei aber unter Nähe etwas völlig anderes verstehen. Man spürt das ja oft schon beim Körperlichen: Es gibt Leute, die rücken einem auf die Pelle und merken gar nicht, dass das dem Gegenüber unangenehm ist. Und es gibt Menschen, die merken nicht, wie sie mit Körpersprache Distanz aufbauen. Erfolgreiche Manager haben in der Regel ein gutes Gespür dafür, was in einer bestimmten Situation die nötige Distanz oder hilfreiche Nähe ist.
Ich habe den Eindruck, dass es auch in Unternehmen immer körperlicher zugeht. Kolleginnen und Kollegen küssen sich die Wangen. Männer umarmen sich zur Begrüßung wie Fußballer nach einem Tor …
Die zunehmende körperliche Nähe in Deutschland hat sicher etwas damit zu tun, dass wir unsere Kultur hier und da als zu steif empfinden. Und dann imitieren wir Franzosen oder Italiener oder Südamerikaner in ihrer Körperlichkeit (siehe auch: „Nähe und Distanz in Zahlen“, S. 100). Es mag Leute geben, denen das leicht fällt. Die finden Körperlichkeit schick oder progressiv, und die fühlen sich dann auch wohl mit importierten kulturellen Ritualen. Aber ich muss immer schmunzeln, wenn ich diejenigen sehe, die solche Nähespiele mitmachen müssen, obwohl sie ihnen eigentlich zuwider sind. Auffällig ist auch, dass ein verordnetes Du das Gegenteil von Nähe schafft. Nähe kann man nicht verordnen. Das Gleiche gilt für Lockerheit.
Inwiefern?
Nur weil ein Vorstand eine Krawatte ablegt, wird er doch kein nahbarer Typ. Es ist heute ja fast umgekehrt: Du darfst keine Krawatte mehr tragen, wenn du als innovativ gelten möchtest. Das finde ich lächerlich. Wenn einer eine Krawatte tragen möchte, soll er das doch machen.
Wie viel Zeit braucht es eigentlich, um Nähe in Arbeitsbeziehungen an der Unternehmensspitze herzustellen? Die Vorstandsmandate werden ja immer kürzer.
Im Durchschnitt stimmt das, aber wir haben immer noch Unternehmen, in denen Vorstände über viele Jahre zusammenarbeiten. Da wächst Nähe meist automatisch. Bei Vorständen, die häufiger das Unternehmen wechseln, gehört es zur Kernkompetenz, schnell Nähe aufzubauen, um auf Zeit vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können. Es ist ein wenig wie bei Fußballprofis, die in einem neuen Team schnell funktionieren müssen. Dazu müssen die anderen Spieler ihnen vertrauen, sonst bekommen sie in den entscheidenden Momenten nicht den Ball.
Tendenziell wird die Zusammensetzung von Vorständen vielfältiger. Verändert sich etwas im Nähe-Distanz-Spiel, wenn Frauen und Menschen verschiedener Herkunft auf Topmanagement-Ebene zusammenarbeiten und nicht nur weiße Männer in grauen Anzügen jenseits der 50?
Absolut. Es ist unbestritten, dass heterogene Teams bessere Leistungen erbringen können als homogene. Das gilt aber nur, wenn ihnen kulturelle Differenzen nicht in die Quere kommen, sondern jeder seine Stärken einbringen kann. Ich beobachte seit Jahren mit Freude, dass besonders Frauen in gemischten Teams Konflikte viel intelligenter lösen als Männer. Sie lassen sich seltener provozieren, bleiben souverän und sachlich, reduzieren Aggressionen, indem sie besser zuhören. Oft schaffen sie in Konfliktsituationen die nötige Distanz, um die Emotionen zu entschärfen. Und im zweiten Schritt legen sie wieder die Basis für vertrauensvolle Zusammenarbeit und erlauben wieder mehr Nähe. Bei der Fähigkeit zum Netzwerken haben aber Frauen noch Nachholbedarf.
Auf der einen Seite sind die alten Old-Boys-Netzwerke der Deutschland AG endgültig Vergangenheit, andererseits reden junge Führungskräfte dauernd darüber, wie wichtig Networking ist.
Ja, das ist in der Tat auffällig. Ich kannte die alten Netzwerke der Deutschland AG noch ganz gut. Die sind in sich zusammengefallen, weil sie keine neuen Einflüsse zugelassen haben. Da durfte ja nur rein, wer es schon geschafft hatte, nach dem Motto: Uns nützt nur einer, der bereits einer von uns ist. Das ist natürlich ein Auslaufmodell. Aber das heißt nicht, dass die Methode heute nicht mehr funktioniert. Es gibt nach wie vor wichtige Netzwerke, wie zum Beispiel die Baden-Badener Unternehmer-Gespräche. Wer ihnen angehört, bekommt Zugang zu Menschen, an die er sonst nicht herankäme.
Und warum taten oder tun sich Frauen damit schwer?
Die mussten erst lernen, wie hilfreich gegenseitige Gefallen sein können, ohne dass dies gleich ein Fall für den Compliance-Beauftragten ist. Sie lernen das aber gerade mit hoher Geschwindigkeit. Frauennetzwerke boomen, weil immer mehr Frauen merken: Es ist nicht falsch, sich gegenseitig zu unterstützen, weil man viel voneinander hält.
Braucht es für Nähe Mut?
Erfolgreiche Führungskräfte müssen offen sein. Nur dann finden sie das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz. Es gibt ein schönes Zitat des österreichischen Schriftstellers Ernst Ferstel: „Nähe zu wagen ist ein schwieriger Balanceakt. Wer zu weit geht – oder nicht weit genug, entfernt sich vom anderen.“ Ohne Offenheit und Sympathie werden wir diesen Balanceakt nicht bewältigen. Oder besser gesagt: Je diverser Teams werden, desto mehr brauchen wir davon.
Heiner Thorborg, 74, ist einer der bekanntesten Personalberater Deutschlands. Nach zehn Jahren als Partner bei der Schweizer Personalberatung Egon Zehnder International machte er sich 1989 mit einer Headhunter-Firma selbstständig. Im Jahr 2007 gründete er Generation CEO – ein Netzwerk für weibliche Führungskräfte
brand eins
12/2018