Deutsche Bahnanenrepublik

Traditionell zieht ein guter Feldherr seinen Soldaten voran in die Schlacht. Hinter den Linien zu bleiben und sich an der Gulaschkanone gütlich zu tun, während es an der Front nur so kracht, galt zu keiner Zeit als angemessenes Verhalten für einen General. Offenbar ändert sich das gerade.

Unter Beschuss ist die Deutsche Bahn: Das neue Preissystem ist ein Flop, die Kunden wandern ab, die Quartalszahlen sind ein Desaster. Ein Bauernopfer muss her.
Doch anstatt sich selbst zur Disposition zu stellen, lässt sich Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn AG, seinen Vorstandsvertrag bis 2008 verlängern. Währenddessen feuert der Aufsichtsrat des immer noch im Bundesbesitz befindlichen Unternehmens zwei Kollegen.

Der General sieht also zu, wie zwei seiner Offiziere geopfert werden - dabei hätte er eigentlich die Trümpfe in der Hand. Zu Mehdorn gibt es weit und breit keine Alternative als Bahnchef, das wissen auch die Verantwortlichen im Verkehrs- und Finanzministerium. Den Berlinern sitzt noch das Debakel nach dem Rauswurf von Ron Sommer bei der Deutschen Telekom im Nacken.

Stattdessen akzeptiert er das Bauernopfer und klüngelt selbst mit den Unternehmenskontrolleuren. Eine offizielle Verlängerung des Arbeitsvertrags des 61-Jährigen wäre nach geltendem Aktienrecht erst ein Jahr vor Ablauf des Vertrags, im Dezember 2003, möglich. Also griff der Aufsichtsrat zu einem Trick: Mehdorns Vertrag wird einvernehmlich aufgehoben, der Mann ist für einige Sekunden lang arbeitslos. Dann wird ihm sofort ein neuer Kontrakt zur Unterschrift vorgelegt - für weitere fünf Jahre. Das hat aus Mehdorns Sicht den Vorteil, dass er finanziell bis 2008 versorgt ist, sollte er den Karren nicht aus dem Dreck kriegen und irgendwann doch noch selbst den Hut nehmen müssen.

Das Verkehrsministerium ist sich nicht zu schade, das Vorgehen zu verteidigen, es sei üblich und "absolut konform mit dem Aktienrecht".

Fragwürdig ist dieses Procedere aus mehreren Gründen. Es wirft erstens kein gutes Licht auf den Charakter deutscher Manager. Die wollen nämlich das Beste aus zwei Welten: Einerseits Aktienoptionen wie die Amerikaner und damit hohe Einkommen - und gleichzeitig die hier zu Lande üblichen Fünfjahresverträge behalten. Die kennen die Angelsachsen nicht, da werden jährlich neue Verträge unterschrieben. Zweitens empört dieses Vorgehen im Fall der Bahn auch deswegen, weil der Bund Eigentümer des Unternehmens ist und in der Person von vier Staatssekretären mit im Aufsichtsrat der Bahn sitzt. Der Gesetzgeber unterläuft offenbar wissentlich seine eigenen Gesetze.

Vollends zur Farce wird der Vorgang, weil gleichzeitig die Bundesjustizministerin die Kommission Deutscher Corporate Governance Kodex unter der Leitung von Gerhard Cromme aufforderte, für mehr Transparenz und Verantwortungsbewusstsein auf deutschen Vorstandsetagen zu sorgen. Schon im Vorfeld hatte Brigitte Zypries angekündigt, prüfen zu lassen, ob der variablen Managervergütung nicht per Gesetz Grenzen auferlegt werden könnten. Um einem Gesetz zuvorzukommen, hat nun die Kommission Obergrenzen für die Optionen empfohlen und beschlossen, dass die persönlichen Einkommen deutscher Vorstände öffentlich zugänglich zu machen sind. Das ist gut und richtig. Noch schöner wäre es, wenn die Politiker selbst Transparenz und Verantwortungsbewusstsein vorleben und darauf bestehen würden, dass das Aktienrecht ernst genommen wird.

Welt am Sonntag
Nr. 21 / 25.05.2003, Seite 31