Geschasste Manager sind nicht immer gleich auch Versager Gebt Gescheiterten eine Chance

Thomas Borer – der jüngst abberufene Schweizer Botschafter in Berlin – hat ein Angebot für einen neuen Job. In einer ganzseitigen Anzeige schreibt der Uhrenhersteller Swatch: "Im 27. Kanton der Schweiz hat es immer Platz für einen phantasievollen Botschafter... Sie können positive Provokationen auslösen, sind charmant und verheiratet". Die Eidgenossenschaft besteht aus 26 Kantonen - der 27. ist Deutschland, zumindest im Duktus Schweizer Spaßvögel.

Borer ist tatsächlich reif für neue Aufgaben. Nach der vermeintlichen Sexaffäre und dem Rückpfiff in die Schweiz hat er nun seinem Außenminister gekündigt. Der Mann ist blitzgescheit, toll ausgebildet, verhandlungssicher, mehrsprachig. Der geborene Manager. Im Moment jedoch sagen viele Entscheider, die eigentlich einen Mann mit Borers Qualitäten suchen: "Nein danke – zu dubios, diese Affaire".

Hat der Diplomat eine zweite Chance verdient? Und was ist mit Peter Kabel? Sein Unternehmen Kabel New Media war ein röhrender Erfolg am Neuen Markt, um dann unter großer öffentlicher Anteilnahme in die Pleite zu sinken.

Borer oder Kabel eine neue Aufgabe anzuvertrauen, ist zunächst einmaleine Glaubensfrage. Ist Borer ein aufrechter Mann, der seiner Frau und seinem Chef die Wahrheit sagt? Hat Peter Kabel aus seiner dramatischen Pleite gelernt? Vielleicht sind beide heute ihren Aufgaben besser gewachsen, als jemals zuvor? Sie haben jedoch ein Problem: Ihr Sturz war öffentlich.

Bei vielen anderen sieht man den Sturz von außen nicht. Sie suchen sich nämlich schon im Vorfeld eines Rauswurfs einen neuen Job, wenn ihnen klar wird: Das macht der Aufsichtsrat nicht mehr lange mit. So ein Jobwechsel geht aber nicht notwendigerweise mit einem Lerneffekt einher. Manch einer reihte dabei schon Chance an Chance, ohne eine
davon zu nutzen. Verbessert hat sich dabei nur ihr Kontostand. Georg Obermaier beispielsweise nannten seine Kritiker schon als Chef der Viag "Expansions-Schorsch", weil er ihnen bei seinen Unternehmensübernahmen zu wahllos zugriff. 1998 trat er zurück. Im Juni 1999 tauchte er als Chef der RHI – einem Hersteller von feuerfesten Verkleidungen für Hochöfen in Wien – wieder auf. Dort wurde Obermaier vergangenen November erneut abgelöst: Der Kauf des US-Konkurrenten Harbison-Walker erwies sich als Millionengrab.

Auch die ehemaligen BMW-Manager Bernd Pischetsrieder - heute Chef von Volkswagen -, Wolfgang Reitzle – der künftige Chef von Linde - oder Carl-Peter Forster - Chef von Opel - sind nicht unbedingt in großer Freundschaft und Stille aus München weggegangen. Aber sie sind exzellente Manager und die Aufsichtsräte, die den Mut hatten, ihnen eine neue Chance zu geben, nehmen heute Glückwünsche für ihre Weitsicht entgegen.

Dennoch setzen viele Unternehmen immer noch auf die Absolventen einer Kaminkarriere. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, einen überragenden Mann zum Chef zu machen, der die Karriereleiter bei einem einzigen Arbeitgeber erklommen hat. Das Risiko bei der Einstellung eines Unternehmensfremden ist ungleich höher. Aber vielleicht auch die Chance. Der Blick von außen ist oft unverstellter, das Denken freier und die Rücksicht beim Abschneiden alter Zöpfe kleiner. Früher galt: Einmal Vorstand, immer Vorstand. Die Zeiten sind vorbei. Inzwischen schauen die Kapitalgeber genauer hin und in der Folge machen sich beim Entlassen amerikanische Verhältnisse breit: Immer mehr Vorstände und Geschäftsführer müssen immer früher ihren Stuhl räumen, wenn Strategie und Aktienkurs nicht stimmen.

Leider ist das Verhältnis zum Scheitern und Wiederaufstehen nicht auch angelsächsisch geworden. Die Amerikaner gehen davon aus, dass Menschen aus Fehlern lernen und geben ihnen offenherzig eine zweite Chance. Auch Berufs- und Branchenwechsel sind viel akzeptierter als hierzulande, ebenso wie der Umstieg zwischen politischem Amt und Management. Die Bereitschaft, einem guten Mann eine zweite Chance zu geben, ist nur eine Seite der Medaille. Der Wille des Betroffenen, sie anzunehmen und nach Kräften zu nutzen, die andere. Vielen wird gar nichts anderes übrigbleiben. Deutsche Konzerne, angeführt von den Großbanken, trauten sich über Jahre nicht, ihre verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Nun beginnt das Großreinemachen – und viele Manager bleiben auf der Strecke. Einige von ihnen haben eine zweite Chance verdient – allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sich die wieder im Vorstand eines Konzerns findet.

Die Alternative? Mittelständler werden beispielsweise. Heinrich Binder sagte nach kurzer Bedenkzeit im Sommer 1997 zu, Vorstandschef des schon schwer angeschlagenen Bauriesen Philipp Holzmann zu werden. Gerne wollte der Branchenfremde nach der erfolgreichen Sanierung des Automobilzulieferers Kolbenschmidt noch einmal ein ähnliches Glanzstück hinlegen. Er deckte Verluste von anderthalben Milliarden Euro auf und glaubte, die Wende zu schaffen.

Leider übersah er weitere 1,2 Milliarden Euro Verlust und musste gehen. Sechs Monate nach dem erzwungenen Ausstieg wird der Jurist schließlich Chef des Automobilzulieferers Petri in Aschaffenburg, wo er heute Unternehmerqualitäten beweist.

Andere gehen in die Wissenschaft und Beratung oder stehen als Interims- oder Beteiligungsmanager jungen Gründern zur Seite. Wie Kurt Lauk, der im Herbst 1999 das prominenteste Opfer eines Vorstandsumbaus bei Daimler-Chrysler wurde. Er engagiert sich heute als Business Angel und sitzt im Beirat der Stanford Graduate School of Business.

Erfolg in welcher neuen Rolle auch immer hat jedoch nur, wer sich von dem vordergründigen Nimbus einer typischen Karriere beizeiten verabschiedet. Ehrlich zu sich selber ist und ein paar Fragen aufrichtig beantwortet: Was kann ich wirklich? Und was will ich wirklich? Was an meiner bisherigen Karriere hat mit Bühne, Ego und Selbstdarstellung zu tun und was davon tatsächlich mit meiner Person, meinen Zielen und Wünschen? Eine zweite Chance beginnt Innen, sonst hat das Außen keine Chance.

Welt am Sonntag
Nr. 19 / 12.05.2002, Seite 30