Guter Rat ist klein

"Noch nie habe ich Deutschland in so schlechten Zustand erlebt," sagte Unternehmensberater Roland Berger unlängst in Tokio vor japanischen und deutschen Industrievertretern. Und als "Giftpille" gar bezeichnete er die deutsche Mitbestimmung im Aufsichtsrat. An diesem Tabu müsse dringend gerüttelt werden. Bergers Meinung ist auch BDI-Präsident Michael Rogowski, der fordert, den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat das Stimmrecht zu entziehen und sie nur noch als beratende Mitglieder zuzulassen. "Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist überholt", ließ uns auch Rolf-Ernst Breuer wissen, oberster Aufseher der Deutschen Bank.

Solcher Ruf nach Reformen läutet die neueste Runde ein in einem langjährigen Kampf um vernünftige Unternehmenskontrolle in Deutschland. Nach den Skandalen bei Bremer Vulkan, Balsam und der Metallgesellschaft entstand 1998 zunächst das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG). Der Niedergang der Philipp Holzmann AG bewies, dass damit nichts Substanzielles gewonnen war. Also folgte eine Regierungskommission. Ihr Ergebnis war ein Deutscher Corporate Governance Kodex, der im wesentlichen aus Empfehlungen besteht und ansonsten nur das ohnehin geltende Recht wiedergibt. Viele wesentliche Themen wurden in diesen ganzen Papierstößen jedoch nicht behandelt. Die Frage der Mitbestimmung beispielsweise - sie wurde in den Regierungskommissionen auf besonderen Wunsch des Bundeskanzlers außen vor gelassen. Natürlich hat die rot-grüne Koalition jetzt auch den Vorschlägen des BDI-Präsidenten eine klare Absage erteilt.

Das ist ärgerlich, denn Berger, Rogowski und Breuer wissen schon, wovon sie reden. Die Gründe, die für ihren Vorschlag sprechen, sind zwingend. Läuft doch Kontrolle made in Germany heute faktisch so: Die Arbeitnehmervertreter sprechen sich schon vor der eigentlichen Sitzung ab, die Aktionärsvertreter versammeln sich ebenfalls vor dem Termin und diskutieren das Wesentliche unter sich. Dazu Breuer: "Es findet keine richtige strategische Diskussion im Aufsichtsrat selbst statt. Sie findet vorher statt, weil man Kritik am Vorstand nicht im gesamten Gremium vornehmen oder weil man gewisse Fragen nicht ausgebreitet sehen möchte".

Außerdem sind die Gewerkschafter im Kontrollgremium eine Investitionsbremse. Mit ihnen katapultiert sich Deutschland aus dem Rennen als Standort für internationale Zusammenschlüsse: Die Holdings künftiger Joint Ventures werden als Sitz kaum Deutschland wählen. Zuletzt war das beim Zusammenschluss von Hoechst und Rhone-Poulenc zu Aventis zu beobachten. Die neue Zentrale sitzt im französischen Straßburg. Die Flucht über die Grenze wird noch an Beschleunigung gewinnen, wenn die Bundesregierung die EU-Richtlinie zur Europa AG in nationales Recht umwandelt. Sollte das deutsche Modell der Mitbestimmung eins zu eins übertragen werden auf den Aufsichts- oder Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft, sind deutsche Unternehmen fusionsunfähig.

Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist für Ausländer völlig unverständlich, weswegen sie auch ungern in deutschen Gremien sitzen. Dabei bräuchten wir sie dringend - nicht nur aus Gründen des Know-how, sondern auch, weil neuerdings auch die deutschen Aufsichtsräte für deutsche Unternehmen knapp werden: Der neue Corporate Governance Kodex beschränkt die Zahl der Mandate auf fünf pro Kopf, verschärft die Haftung und erhöht die Ansprüche. Doch renommierte ausländische Unternehmer werfen häufig nur einen Blick auf einen deutschen Rat und schütteln ungläubig den Kopf: Wie soll man in diesem Gedränge vernünftig arbeiten? Eine niederländische Studie kam zu dem Ergebnis, dass in der zivilisierten Welt zwischen elf und 13 Menschen in einer Sitzung der Gremien zusammenkommen – nur nicht in Deutschland. Hier treffen sich durchschnittlich 29 Personen in jedem Meeting. Schon deswegen brauchen wir dringend eine Veränderung des Aktiengesetztes, denn sonst, so Berater Berger, "macht es keinen Spaß mehr."

Süddeutsche Zeitung
Nr. 131 / 10.06.2003, Seite 24