Legal, aber nicht legitim

Ein Vorstand, der die Erhöhung seiner eigenen Bezüge rechtfertigen muss, behauptet gern, die bisherigen Einkommen seien im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. So zuletzt Telekom-Chef Ron Sommer, der sich eine üppige Gehaltserhöhung mit dem Argument absegnen ließ: Nur mit Gehältern in internationaler Höhe seien "imponierende" Führungskräfte zu halten. Das ist merkwürdig.
Erstens: So richtig imponierend sind die Leistungen der Telekom-Mannschaft nicht. Im Aktiengesetz steht, dass die Vergütung eines Vorstandes in angemessenem Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen muss. Die Lage der Telekom ist jedoch desolat: Der Wert der Aktie bewegte sich wie die Vorstandsvergütung um 90 Prozent – allerdings in die andere Richtung. Heute dümpelt sie unter ihrem Ausgabepreis. Das lässt nur einen Schluss zu: Der feine Unterschied zwischen legal und legitim scheint in deutschen Vorstandsetagen und in den Personalausschüssen der Aufsichtsräte immer mehr zu verwässern.
Zweitens ist die Globalisierungskeule bei der Vorstandsvergütung ein untaugliches Instrument. Bei Neuer und Alter Welt handelt es sich schließlich um zwei unterschiedliche Arbeitssysteme, die Global AG gibt es nicht. Das Verhalten der Deutschen erinnert vielmehr an klassische Rosinenpickerei, die aus beiden Systemen das Beste zu verbinden sucht. Nach dem Motto: amerikanische Gehälter, aber bitte ohne das in den USA übliche Risiko. Dagegen ist einzuwenden: Wenn schon US-Verhältnisse auf dem Konto, dann aber auch US-Dienstverträge.
Das Argument der Internationalisierung kann aber auch aus einem anderen Grund nicht wirklich überzeugen. Jeder Personalberater von Format weiß: Es gibt ohnehin nur für eine begrenzte Zahl von Top-Jobs einen funktionierenden transnationalen Wettbewerb um die besten Führungskräfte. Die meisten Vorstandspositionen werden immer noch rein national besetzt, weil der Schwerpunkt der Aufgaben großenteils national definiert ist. Überdies werden in Europa schon weitgehend vergleichbare Gehälter bezahlt. Einen Abstand der Europäer gibt es nur zu den Amerikanern. Das liegt unter anderem an den Aktienoptionsprogrammen, die in den USA üblich sind. Denen nähert sich nun der Vorstand der Deutschen Telekom. Im Mai des vergangenen Jahres hat er sich ein Optionsprogramm genehmigen lassen, das seinen Mitgliedern bei zehnjähriger Laufzeit einen Eurobetrag in dreistelliger Millionenhöhe zuschanzen kann. Dabei profitieren die Manager ironischerweise auch noch von immer neuen Tiefstständen der Kurse: Die schlagen sich nämlich als Berechnungsgrundlage in den Programmen nieder. Bei der Telekom gilt: Steigt der Kurs um 20 Prozent, können sie ihre Option ausüben. Je niedriger die Basis, desto leichter fällt diese Steigerung.
Es drängt sich die Frage auf: Würden deutsche Unternehmen ohne die Einkommenszulage Vorstandsmitglieder an die US-Konkurrenz verlieren? Nun, die Telekom wohl kaum. Angesichts ihrer Leistungen dürften sie anderswo derzeit nicht gerade schwer umworben sein. Vielleicht Ron Sommer noch – der war für Sony schon einmal jenseits des Atlantiks. Von den anderen Herren wäre keiner wirklich qualifiziert für ein amerikanisches Board. Hätten wir also wirklich ein anderes, schlechteres Telekom-Management ohne Aktienoptionen? Nein. Wem also – außer den Managern – nützt diese Zulage? Und wird sie wirklich dafür sorgen, dass die Telekom-Chefs ihr Tagwerk motivierter angehen?
Dramatische Schieflagen in der Vergütung sollten deutsche Unternehmen sehr wohl anpassen, aber in Grenzen und nicht so, dass sie das deutsche System sprengen. Denn inzwischen herrscht extremes Ungleichgewicht zwischen dem Einkommen der Bosse und dem der normalen Angestellten. Über 1,6 Millionen Euro verdient ein Dax-Vorstand im Schnitt – ein knappes Drittel mehr als noch vor fünf Jahren. Die Vorstandsbezüge in manchen Unternehmen betragen oft mehr als das Hundertfache der Vergütung eines mittleren Angestellten. Das grenzt an die Aufkündigung der Konsensgesellschaft. Schlagen jetzt die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf den Tisch, bis das Geschirr zerscheppert? Bisher ist nichts dergleichen bekannt. Das erstaunt. Nicht nur, weil Vorstandsbezüge an dem wirtschaftlichen Erfolg und der Entwicklung eines Unternehmens gemessen werden müssen. Sondern weil es in dieser Frage auch um die Grundlage der Marktwirtschaft geht. Und die heißt immer noch: Leistungsgerechtigkeit.
Welt am Sonntag
Nr. 24 / 16.06.2002, Seite 32