Oh Manager, schwöret nicht!

"Ist Management ein richtiger Berufsstand?," fragt der Hochschullehrer Angel Cabrera. Schon die Frage selbst lässt einen akademischen Generalverdacht gegen einen Beruf erahnen, für den man nicht unbedingt ein Diplom braucht, wie Bill Gates oder Steve Jobs eindrucksvoll bewiesen haben.

Cabreras Frage impliziert: Wenn wir es ernst meinen mit der Wirtschaft und ihrer Rolle in der Gesellschaft, dann müssten wir auch ein verbindliches Manager-Berufsbild schaffen wie das für Juristen oder Apotheker – und die Ausübung des Berufs an ein Studium und den Erwerb eines Diploms knüpfen. In globalen Zeiten hat die Ökonomie schließlich mindestens so viel Einfluss auf eine Gesellschaft wie die Juristerei oder die Medizin. Deswegen sollte sich der MBA-Nachwuchs auf der ganzen Welt künftig eine Selbstverpflichtung zu ethischem Handeln auferlegen. Wenn es nach Cabreras ginge, müsste er am besten gleich auf einen Wertekanon ethischer Unternehmensführung schwören, so wie sich Medizinstudenten mit dem Hippokratischen Eid der Gesundheit und Würde ihrer Patienten verpflichten.

In einem Punkt hat Cabreras recht: Verantwortungsvolles Handeln in einer Topposition der Wirtschaft ist sehr viel mehr, als Shareholder Value zu schaffen. Übrigens schon deshalb, weil Mitarbeiter, Kunden und Investoren heute sehr genau hingucken, wenn es um Arbeitsbedingungen, Umweltfragen oder Produktqualität geht. Unternehmen werden heute zunehmend auch als soziale Kräfte wahrgenommen und danach beurteilt, wie gut oder schlecht sie mit dieser Rolle zurechtkommen. Wer ernsthaft Erfolg haben und Wert schaffen will, braucht gleichermaßen motivierte Mitarbeiter, zufriedene Kunden und langfristig interessierte Anleger. Universitäten und Business Schools wissen das natürlich und lehren diese Zusammenhänge auch entsprechend.

Seminare in der Managerausbildung zum Thema "Corporate Conduct" sind also wichtig und hilfreich. Aber deswegen gleich den Nachwuchs weltweit einen feierlichen Eid schwören lassen? Wer sich nur die jüngeren Skandale in der medizinischen Welt um hanebüchene Kunstfehler oder betrügerische Abrechnungsmethoden vor Augen hält, wird sehr schnell feststellen, dass uns der berühmte Eid nicht vor schlechten Ärzten schützt. Gegen kriminelle Energie ist keine Branche der Welt gefeit, schon gar nicht durch erhobene Schwurhände. Es sei denn, der Staat hängt ein Gesetz hinter den Eid wie im Fall des Sarbanes-Oxley Acts. Die US-Regierung zwingt die Führer von in den USA börsennotierten Gesellschaften nicht nur zu schwören, dass ihre Bilanzen korrekt sind, sondern bedroht die Schwörenden auch mit saftigen Strafen, wenn in ihrem Verantwortungsbereich dennoch etwas schief geht. Wer jedoch ein kaufmännisches Studium absolviert, weil er auf die schnelle Mark hofft, wird durch ein bloßes Lippenbekenntnis ohne den drohende Arm des Gesetzes dahinter weder ein besserer Mensch, noch ein verantwortlicherer Chef.

Das Beispiel USA zeigt übrigens sehr deutlich, dass Rhetorik alleine nichts verbessert. Laut einer Umfrage des amerikanischen Ethics Resource Center hatte im Jahr 2000 bereits jeder zweite der befragten Angestellten Schulungen hinter sich, die sich mit ethischen Fragen beschäftigten. Dennoch haben sich zeitgleich und danach in vielen Unternehmen Vorfälle ereignet, die unter dem Stichwort "Enron" in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen sind. Ein von der Firmenleitung verordnetes Ethik-Programm ist eben noch lange nicht das selbe wie eine ethisch orientierte Unternehmensführung. Moralische Standards kann man predigen und beschwören lassen, aber wer sie ernsthaft umgesetzt sehen will, muss sie selber leben und vorleben. Wer die charakterliche Integrität zum Manager nicht in sich trägt, wird sie durch einen Schwur nicht erlangen.

Vorschriften und Gesetze sind gegenstandslos, wenn ihre Einhaltung nicht überprüft und ihre Übertretung nicht geahndet wird. Hand aufs Herz: Wie viele Autofahrer würden die Geschwindigkeitsbegrenzungen noch Ernst nehmen, wenn es keine Radarfallen, Strafen und Flensburger Punkte mehr gäbe? Viel sinnvoller als sämtliche Schwüre – inklusive derer nach dem Sarbanes-Oxley Act – wäre es daher, die Kontrollmechanismen im Unternehmen zu stärken. Und das heißt ganz klar: Wir brauchen professionelle und durchsetzungsstarke Aufsichtsgremien. Nichts schützt Mitarbeiter, Kunden und Anleger so nachhaltig vor schlechten, dummen oder gar gierigen Managern wie vernünftige Corporate Governance. Die Diskussion in der angelsächsischen Welt um unabhängige Board-Mitglieder und die Abschaffung der Personalunion zwischen CEO und Chairman of the Board geht in diese Richtung. Das lässt hoffen. Schwurhände nicht.

Handelsblatt.com
23.09.2003
von Heiner Thorborg