Warum kaum ein Manager mehr von Shareholder-Value redet Schweigen im Walde

Die Buchhandlungen quellen über vor besinnlichen Büchern für Manager. Neben Gertrud Höhlers "Die Sinn-Macher" steht Hans-Olaf Henkels "Die Ethik des Erfolgs" und die "Die Liebe zur Weisheit – Kleine Philosophenschule für Manager." Außerdem gibt es Shakespeare, Sun-Tzu, und Clausewitz für Führungskräfte, ganz zu schweigen von den Lehren der Jesuiten oder Benediktiner.
Offenbar ist die allgegenwärtige Sinnfrage ein Zeichen der Krise. Denn in den 90ern, den goldenen Jahren des Kapitalismus, war im Management von Sinn nicht viel die Rede. Eher schon von Shareholder-Value. Im Börsenboom konnte auch die eine oder andere Nervenkrise bei Belegschaft und Management mit einem dicken Bonus oder einem noch dickeren Aktienoptionsprogramm verpflastert werden. Heute redet von Börsenwert keiner mehr. Schwer zu entscheiden, was schlimmer ist, die Über- oder die Untertreibung.
Keine Frage, im Jahrzehnt der Übernahmeartisten wurde das Shareholder-Value-Denken zu einer Absolutheit getrieben, die bei manchen Vorstandsvorsitzenden Albträume auslöste, etwa wenn wieder Quartalsberichte und Analysten ins Haus standen. Dank der Fixierung auf den Börsenkurs viertelte sich die durchschnittliche Verweildauer der Menschen an der Unternehmensspitze von vorher etwa zwölf auf nur noch drei Jahre. Diese Zeit ist jedoch zu kurz, als dass ein noch so guter Manager in ihr etwas Bedeutendes bewegen könnte. Welche Vergeudung von Ressourcen!
Heute sind die Aktien der meisten Unternehmen im Keller und der Anleger würde sich ein paar Unternehmenslenker wünschen, die sich zur Verantwortung für das Geld der Investoren bekennen. Stattdessen Schweigen im Walde.
Wie konnte es so weit kommen? "The Business of Business is Business", dieses Aperçu des US-Ökonomen Milton Friedman erreichte nicht umsonst weltweite Bekanntheit ? Unternehmer sind dazu da, Unternehmenswerte zu maximieren und nicht die zu zahlenden Steuern oder die Zahl der Arbeitsplätze. Einen wesentlichen Baustein zu diesem Denken lieferte 1986 das Buch des amerikanischen Finanzprofessors Alfred Rapaport mit der Theorie, dass nur Shareholder-Value ein Maßstab für gute Unternehmensführung sei.
Fünf Jahre später war die Philosophie in Deutschland angelangt. Investmentbanker von S.G. Warburg rechneten beispielsweise dem Topmanagement der Veba (heute Eon) vor, dass aus Sicht der Aktionäre eine Zerschlagung ihres Konzerns angezeigt wäre. Die Werte der Unternehmensteile – so das Fazit der Banker – waren in der Summe um Milliarden höher als der Börsenwert der Holding. Also holte Vorstandschef Ulrich Hartmann Berater ins Haus, lancierte ein Wertsteigerungsprogramm und eine Entlassungswelle, trennte sich innerhalb von drei Jahren von 10 000 Mitarbeitern und rund fünf Milliarden Mark Umsatz – und avancierte zum Shooting-Star an der Börse. Dieses Beispiel machte Schule. Nach seinem Amtsantritt als Chef von Daimler-Benz fand Jürgen Schrempp heraus, dass viele seiner leitenden Angestellten den aktuellen Aktienkurs ihres Unternehmens nicht kannten. Sofort erließ er einen Ukas, künftig sei die Steigerung des Börsenwerts das oberste Prinzip der Unternehmensführung.
Solche Äußerungen und die dazu passenden Maßnahmen führten dazu, dass Shareholder-Value einerseits schnell zu einem Allheilmittel für leistungsschwache Unternehmen hochstilisiert und andererseits als Maßnahme zur Vernichtung von Arbeitsplätzen diskreditiert wurde. Tenor: Die brutale Orientierung ausschließlich an den Interessen der Shareholder ist die Ursache für die Restrukturierungsaktivitäten der deutschen Wirtschaft und des damit einhergehenden Arbeitsplatzabbaus.
Der Soziologie-Professor Ulrich Beck fragte, ob der "Nur-noch-Eigentümer-Kapitalismus, der auf nichts als Gewinn zielt und die Beschäftigten, den (Sozial-)Staat und die Demokratie" ausgrenze, nicht "seine eigene Legitimität" aufhebe.
Auch ohne die Hilfe von Soziologen war bald allen klar, dass niemand ein erfolgreiches Unternehmen führt, der die Interessen seiner Kunden und Mitarbeiter missachtet oder dauerhaft seine Lieferanten ausbeutet. Auch volkswirtschaftlich betrachtet zeigte sich, dass höhere Gewinne, Produktivität und Kurse nicht unbedingt zu höheren Löhnen und mehr Arbeitsplatzsicherheit führten. Plötzlich tönten auch die deutschen Shareholder-Value-Apologeten etwas leiser. Daimlers Finanzvorstand Manfred Gentz sagte: "Jetzt müssen wir aufpassen, dass die Schlagwörter uns nicht erschlagen." Veba-Chef Hartmann meinte: "Ich vermeide den Begriff Shareholder-Value und spreche lieber von Wertpolitik."
Was lehrt uns das? Das Konzept vom Shareholder-Value auf Börsenwert zu reduzieren, war von Anfang an zu eindimensional. Wert schafft, wer sich im Unternehmen um seine Marktstellung, Innovationskraft und Produktivität kümmert, ebenso wie um seine Attraktivität als Arbeitgeber, steten Cash-Flow und ausreichende Liquidität. Börsenwert stellt sich dann schon ein – irgendwann.
Welt am Sonntag
Nr. 10 / 09.03.2003 , Seite 27