Geld und Leben Venture World

Straßenräuber verlangen Geld oder Leben – Venture Capitalists (VC) nehmen zur Not auch beides. Seitdem ihre Portfolios vor konkursgefährdeten oder gänzlich wertlosen Unternehmen der New Economy strotzen, gelten in der VC-Szene die einfachsten Regeln ehrbarer Kaufleute nicht mehr. Da Unternehmensbeteiligungen derzeit nicht verkäuflich sind, versuchen die Investoren mit Macht, die Kontrolle über die Reste des einst so freigiebig verteilten Geldes zurückzubekommen – koste es, was es wolle. Selbst das Leben der einst so umworbenen und hoch bezahlten Firmen.
Harte Zeiten vernichten offenbar die elementarsten Regeln der Höflichkeit. Selbst wenn der VC nominell nur 25 Prozent des Kapitals hält, benimmt er sich heute so, als habe er das Unternehmen mit Mann und Maus gekauft. So manch ein Jungunternehmer fliegt bei nächster Gelegenheit aus der eigenen Firma. Die Gründer sind ohnmächtig, da sie vollständig abhängig sind.
Sie berichten, dass Anrufe und E-Mails von ihren VCs nicht mehr beantwortet werden. Wird doch mal kommuniziert, dann ohne die Wörter "Bitte", "Danke" oder "Guten Tag". Termine werden wiederholt kurzfristig abgesagt – das Mobiltelefon klingelt erst, wenn der Unternehmer schon in der Tür zum Konferenzhotel steht, in dem das Meeting angesetzt war. Neue Terminvorschläge gibt es nicht. Trifft man sich doch noch irgendwann, kommt der Beteiligungsmanager viel zu spät, sodass keine Zeit mehr für all die Themen auf der Agenda bleibt. Mancherfühlt sich an den Spruch autoritärer Väter erinnert: Wer zahlt, schafft an.
Allerdings wird nicht mehr gezahlt. Kapital nachzuschießen kommt für viele Geldgeber nicht mehr in Frage. Wozu auch? Dann lebt das Unternehmen auf kleiner Flamme weiter, schafft vielleicht in einem Jahr den Breakeven und in zwei Jahren einen Verkauf. Viele VCs würden davon nichts mehr haben: Bei einer ganzen Reihe ist fraglich, ob sie selbst die nächsten 24 Monate überleben. Wird jedoch nicht nachfinanziert und der Jungunternehmer muss Konkurs anmelden, bekommt der VC dank Ausfallprämie die Hälfte seines Einsatzes zurück.
Die Deutsche Ausgleichsbank hat über ihre Töchter KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und TBG (Treuhand Beteiligungsgesellschaft) mitinvestiert und dabei den VCs eine höchst attraktive Zusage gemacht: Im Falle einer Gründerpleite bekommen sie die Hälfte des eingesetzten Kapitals zurück. Diese opulente Versicherung für VCs wird nun zum Bumerang für die jungen Firmen: Die Pleite eines bereits abgeschriebenen Unternehmens ist für viele Wagnisfinanziers der Idealzustand. Denn dann kommt endlich wieder Geld in die Kasse. Das Nachsehen haben die Gründer – und der Steuerzahler.
Fazit: Genauso wenig wie es in der Wirtschaft ohne die Gesetze der Betriebswirtschaftslehre geht, klappt es ohne die Anstandsregeln der Old Economy. Dass Verträge einzuhalten sind, wussten schon die Römer. Dabei ging es ihnen nicht um moralinsaures Geschwätz, sondern um die Erkenntnis, dass Kriege nicht zu gewinnen sind, wenn einen die eigenen Alliierten sitzen lassen, sobald Fortuna nicht mehr lächelt. Wahre Freunde erkennt man in der Not. Und echte Feinde braucht kein Mensch.
Heiner Thorborgist Inhaber der Personalberatung Heiner Thorborg GmbH & Co. KG in Frankfurt/Main ein erfolgreiches Unternehmen: Erfahrung – im Business und im Leben.
Financial Times Deutschland
29.08.2002, Seite 29