SZ-Management Volle Deckung

Hundert Millionen Euro sind auch für die Deutsche Bank keine „Peanuts“. Geht es nach Leo Kirch, muss die Bank ihm mindestens soviel an Schadensersatz zahlen, weil ihr damaliger Vorstandssprecher Rolf-Ernst Breuer in einem Fernsehinterview befand, die Kirch-Gruppe sei in den Augen des Finanzsektors nicht mehr kreditwürdig. Zwei Monate später meldete Kirch-Media Insolvenz an.

Mangel an Diskretion steht nun ausgerechnet einem Banker nicht gut zu Gesicht. Aber hat sich Breuer wirklich des Geheimnisverrats schuldig gemacht – oder hat er nur das gesagt, was in Wahrheit längst die Spatzen von den Dächern pfiffen?

Das Beispiel Breuer wird vielen Führungskräften zu schaffen machen, die ohnehin schlecht schlafen, weil sie wissen, dass sie mit einem Bein im Gefängnis stehen. Neue Vorschriften im Transparenz- und Publizitätsgesetz verschärfen nun ihre Verantwortung. Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte haften nun persönlich. Das gilt nicht nur für eigene Fehler – Stichwort: Organverschulden – sie sind auch für die Pflichtvergessenheit ihrer Mitarbeiter zuständig, selbst wenn sie von der gar nichts wussten.

Wer das Thema ernst nimmt, kann eigentlich keinerlei unternehmerisches Risiko mehr eingehen. Denn auch ein Aufsichtsrat muss im Zweifelsfall den eigenen Vorstand verklagen, will er nicht selbst schadensersatzpflichtig werden. Überdies muss heute jeder Beschuldigte, dem ein wirtschaftskriminelles Delikt vorgeworfen wird, mit der Beschlagnahme seines Vermögens rechnen. Das so genannte Bruttogewinnprinzip besagt, dass nicht nur der Gegenwert des vermeintlich erschlichenen Vorteils sichergestellt werden darf, sondern das gesamte erlangte Vermögen. Eigentlich zielt das Instrument auf organisierte Kriminalität, dennoch reicht im Prinzip ein Anfangsverdacht wegen Preisabsprachen oder Ausschreibungsbetrug, um einen bisher Unbescholtenen weitgehend mittellos zu machen. Das Leben der Manager wird härter, das beweist auch das Wachstum der „Directors and Officers Liability“, der D&O- Versicherungen, mit denen Unternehmen ihre Manager gegen die Haftung für Fehlentscheidungen absichern. Schon im Jahr 2001 meldeten Versicherungsmakler ein Plus von 20 Prozent in diesem Segment. Die Deutsche Bank war hoffentlich dabei und hat ihren heutigen Aufsichtsratschef Breuer gegen die finanziellen Folgen seiner Fehler geschützt.

Bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Verhalten zahlen die meisten Versicherungen jedoch nicht. Denn zum Kummer der Assekuranzen haben die D&O-Schadensmeldungen deutlich zugenommen. Einerseits versuchen Insolvenzverwalter, bei Schieflagen von Ex-Vorständen zu holen, was noch zu holen ist, andererseits steigt die Anspruchsmentalität. Die Berichte über Nepper und Bluffer führen offenbar dazu, dass viele versuchen, Ersatzansprüche gegen Manager durchzusetzen.

Die neue Situation zeigt bereits Wirkung. Notare berichten von zunehmenden Aktivitäten der Topmanager, Vermögenswerte auf Familienmitglieder zu übertragen, um sie in Sicherheit zu bringen. Manche Kandidaten überlegen sich heute genau, wo und ob sie überhaupt einen Aufsichtsratsposten übernehmen.

Wollen wir das? Die eigentliche Ironie liegt jedoch darin, dass es den Hasardeuren vom Neuen Markt, über die wir uns alle so geärgert haben, wahrscheinlich gar nicht ernsthaft an den Kragen geht. Da versuchter Kursbetrug nach der Novelle des Finanzmarktgesetzes im vergangenen Jahr nur noch eine Ordnungswidrigkeit ist, könnte ihnen nun statt bis zu drei Jahren Gefängnis nur eine Geldbuße drohen.

Denn bislang gilt: Wer versucht, seine Anleger über den Tisch zu ziehen, kommt mit einer Ordnungsstrafe davon, wer unternehmerische Fehler macht, dem kann der Staatsanwalt das persönliche Vermögen pfänden lassen. Armes Deutschland.

Süddeutsche Zeitung
Nr. 63 / 17.03.2003 , Seite 20