Was heisst loyal?

"Ich würde niemals einem Club beitreten, der Leute wie mich als Mitglieder akzeptiert." Mit diesem Spruch von Groucho Marx scheint alles gesagt. Aber wer weniger auf Selbstironie und mehr auf Solidarität setzt, fährt besser. Fleiß und Talent helfen auch Einzelkämpfern - aber wer vorankommen will, braucht ein funktionierendes Kontaktnetz. Denn Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.
Die Segnungen des Netzwerkens sorgen dafür, dass Unternehmensberatungen als Arbeitgeber nach wie vor sehr beliebt sind. Wer ein paar Jahre in der Kaderschmiede McKinsey abdient, kann für den Rest seiner Karriere auf eine Adressdatei zurückgreifen, die in vielen Firmen bis zu den Vorstandsetagen reicht. Der kurze Draht kann enorm nützlich sein, schließlich werden in Deutschland rund 70 Prozent der Führungspositionen über persönliches Beziehungsgeflecht besetzt.
Was Consultants zu nutzen wissen, vernachlässigt die Industrie sträflich. Wer geht, dem wird beleidigt hinterhergegrummelt, anstatt den Kontakt zu halten. Dabei könnte es für viele Unternehmen wertvoll sein, eine Datenbank der Ehemaligen einzurichten und ihren weiteren Weg zu verfolgen. Ein paar Jahre später mag diese Art der Personalarbeit dazu führen, eine überzeugende Führungskraft - die sich bei der Konkurrenz vermutlich noch weiterentwickelt hat - für die Besetzung einer wichtigen Position wieder anzusprechen. Ein Ex-Mitarbeiter wird gerne "heimkehren", wenn der ehemaliger Arbeitgeber ihn nach der Kündigung nicht wie einen Deserteur behandelt, sondern wie den Vertreter einer intelligenten Elite, der zwischenzeitlich woanders Erfahrungen sammelt.
Ex-Mitarbeiter haben in der Regel großes Interesse an firmenspezifischen Alumni-Vereinigungen. Der Kontakt zu einem renommierten Unternehmen bleibt bestehen, die Gemeinschaft mit alten Kollegen macht Spaß, und es lockt die Aussicht, mit vertrauenswürdigen Insidern Ideen zu diskutieren und Ratschläge auszutauschen.
Nicht zuletzt deshalb haben sich die Ehemaligen des Konsumgüterherstellers Kraft Jacobs Suchard unter der Schirmherrschaft des Unternehmens zusammengeschlossen. Doch diese Initiative bleibt die Ausnahme. Eigentlich unverständlich, wenn man sich beispielsweise vorstellt, alle Marketingexperten, die in den vergangenen 20 Jahren bei Bertelsmann oder auch bei Procter & Gamble tätig waren, würden bei jährlichen Treffen oder über eine Homepage im Internet regelmäßig kommunizieren.
Warum also nutzen so wenig Unternehmen dieses Instrument? Dass die Pflege eines Netzwerkes teuer kommt, ist vermutlich eine Ausrede. Viel eher verdeutlicht der Verzicht, dass die Konzerne nicht viel von Loyalität verstehen.
Sie ahnen, dass der begabte Kollege seinerzeit wahrscheinlich nicht gekündigt hat, weil er sich rundum wohl und adäquat gefördert fühlte. Haben die Unternehmen doch selber den Kontrakt gebrochen, der engagierten Leuten tausend Entwicklungsmöglichkeiten versprach. Nun vermutet die Organisation in den Menschen denselben Wankelmut und fürchtet sich ein wenig vor der Rache der Ehemaligen: Sie könnten kungeln, üble Nachrede pflegen oder noch aktive Kollegen für ihre jetzigen Arbeitgeber abwerben. Dieses Denken sagt allerdings mehr aus über die Unternehmenskultur in Deutschland als über den Alumni-Gedanken.
Financial Times Deutschland
17.09.2003, Seite 27
von Heiner Thorborg